Arbeitsrechtlexikon A - Z

Insolvenz (Def.)

In ggf. auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeben sich zahlreiche Besonderheiten durch „Sonderrechte“ des Insolvenzverwalters.

 Arbeitgeberrechte im Eröffnungsverfahren

 Nach Stellung des Insolvenzantrages liegt die Befugnis zur Kündigung von (Arbeits-) Verträgen

  • bei einem allgemeinen Verfügungsverbot allein beim vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Absatz 1 InsO),
  • ohne allgemeines Verfügungsverbot weiterhin beim Arbeitgeber einschließlich der Berechtigung weiterhin zum Ausspruch von Kündigungen (§ 22 Absatz 2 InsO).

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist bis zur Eröffnung des Verfahrens und nach Eröffnung bis zum Berichtstermin fortzuführen (§ 148 Absatz 1 InsO). Der Insolvenzverwalter darf schuldnerische Unternehmungen einstellen. Grenze ist § 22 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 InsO. Der Insolvenzverwalter ist weiterhin an formale Regelungen wie Schriftform der Kündigung, Anzeigeverpflichtung bei Massenentlassungen (§§ 17, 18 KSchG) gebunden. Ebenso gelten kollektiv Vereinbarungen einschließlich der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates weiter.

Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet etwaige Zeugnisse auszustellen, und zwar für den Zeitraum vor Verfahrenseröffnung (so jedenfalls die überwiegende Rechtsprechung beispielsweise LAG Hamm 27.02.1997, 4 Sa 1691/96.

Kündigungen in der Insolvenz

 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehen dem Insolvenzverwalter Kündigungserleichterungen zur Seite. Grundsätzlich bestehen aber die wechselseitigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. dann Insolvenzverwalter weiterhin fort. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens darf nur noch der Insolvenzverwalter oder ein von ihm bevollmächtigter Vertreter, z.B. Personalleiter, kündigen. Es gelten die allgemeinen Regelungen. Etwaige Vollmachten sind bei Vertretern im Original vorzulegen (§ 174 BGB). Eine Kündigungsschutzklage ist gegen den Insolvenzverwalter als „Parteikraft Amtes“ zu erheben.

 Etwaige bereits anhängige Klageverfahren ruhen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst, und sind grundsätzlich dann auf den Insolvenzverwalter umzustellen. Ggf. sind Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis zur Insolvenztabelle anzumelden.

 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht nach § 113 InsO eine maximale Kündigungsfrist von 3 Monaten. Alle sonstigen Sonderkündigungsschutzregelungen – mit Ausnahme gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes beispielsweise für Mütter (§ 9 Mutterschutzgesetzt) oder Schwerbehinderte (§§ 85, 91 SGB IX) bleiben etwaige Sonderschutzrechte erhalten. Bereits nach Ausspruch der Kündigung ist der Insolvenzverwalter nach einem Teil der Rechtsprechung berechtigt den Arbeitnehmer frei zu stellen. Dies soll aus §§ 55 Abs. 2, 209 Absatz 2 Nr. 3, 55 Absatz 2 Satz 2 InsO folgen. Danach hat der Insolvenzverwalter bei Dauerschuldverhältnissen ein Wahlrecht, ob er Ansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis geltend macht. Die Grenzen billigen Ermessens sind zu beachten.

 In Betrieben mit Betriebsrat erleichtert § 125 Absatz 1 InsO geplante Kündigungen. Bei namentlicher Nennung der zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich

  • wird vermutet, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 InsO,
  • ist die Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt (§ 125 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 InsO),
  • wird weiterhin vermutet, dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht „wegen“ einem Betriebsübergang erfolgt (§ 128 Absatz 2 InsO),
  • ist die Überprüfung der Zuordnung der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Betrieb/Betriebsteil im Falle einer Betriebsteilung auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt (§ 323 Absatz 2 UmwG).

 Besondere Formalien sind zu beachten. Insbesondere sind bei Interessenausgleich und Namensliste beide Urkunden fest zu verbinden.

 Mit anderen Worten: Die Betriebsbedingtheit der Kündigung wird vermutet. Die entgegenstehende Darlegungs- und Beweislast wird (ausnahmsweise) dem Arbeitnehmer aufgelegt.

 Möglich ist weiterhin

  • eine Sozialauswahl (nicht nur zur Erhaltung wie außerhalb der Insolvenz, sondern auch zur) Schaffung einer Personalstruktur.

 Bei Interessenausgleich mit Namensliste ersetzt der Interessenausgleich eine Stellungnahme des Betriebsrates bei Massenentlassungen gemäß § 17 Absatz 3 Satz 2 KSchG, vergleiche auch § 125 Absatz 2 InsO. Die Anhörungspflicht des Betriebsrates bleibt dagegen bestehen.

 Der Insolvenzverwalter hat die – in der Praxis eher selten genutzte – Möglichkeit, die soziale Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen nach § 126 InsO in einem einheitlichen Beschlussverfahren mit Bindungswirkung gemäß § 127 Absatz 2 InsO feststellen zu lassen.

 Betriebsvereinbarung und Änderungen

 Nach § 120 Absatz 1 Satz 1 InsO sollen Insolvenzverwalter und Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung von Leistungen aus Betriebsvereinbarungen beraten. Bei scheitern einer einvernehmlichen Lösung hat der Insolvenzverwalter nach § 120 Absatz 1 Satz 2 InsO die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen ohne Rücksicht auf die vereinbarte Laufzeit mit einer Dreimonatsfrist zu kündigen.

 In aller Regel wird eine Insolvenz mit einer Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. betrVG verbunden sein. §§ 121, 122 InsO ermöglicht dem Insolvenzverwalter eine Verfahrensbeschleunigung im Interessenausgleichsverfahren. Es besteht die Möglichkeit einer über eine einstimmenden beschleunigte Anrufung der Einigungsstelle durch Insolvenzverwalter und Betriebsrat gemeinsam. Der Insolvenzverwalter hat sogar nach § 120 Absatz 2 die Möglichkeit die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur Betriebsänderung ohne Durchführung eines Einigungsstellungsverfahrens zu beantragen, wenn er der Ansicht ist, dass die Anrufung der Einigungsstelle zu langwierig ist. Voraussetzung ist aber auch hier stets eine rechtzeitige und umfassende Information des Insolvenzverwalters über Betriebsänderungen i.S.d. §§ 111 ff betrVG.

 Sozialpläne sind nach § 123 InsO auf den Gesamtbetrag von 2,5 Monatsgehältern begrenzt sowie weiterhin alle Sozialplanfordeurungen maximal auf ⅓ der Masse begrenzt, die ohne den Sozialplan für die Insolvenzgläubiger zur Verfügung standen. § 123 Absatz 2 Satz 2 InsO. Ein etwaiger, in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarter Sozialplan kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat gemäß § 124 InsO widerrufen werden.

 „Sonstiges“

 Arbeitnehmerrechte sind in der Insolvenz erheblich eingeschränkt. Ob und inwieweit sich hier durch das AGG Einschränkungen der weitreichenden Rechte von Insolvenzverwaltern ergeben, wird sich zeigen. Jedenfalls können diskriminierende Kündigungen nach der neusten Rechtsprechung des BAG unwirksam sein. Eine Privilegierung des Insolvenzrechtes gegenüber dem AGG ist bisher nach der Rechtsprechung und den europarechtlichen Vorgaben nicht feststellbar.

 Tipp: Eine anwaltliche Überprüfung etwaiger Maßnahmen des Insolvenzverwalters auf Arbeitnehmerseite ist grundsätzlich dringend anzuraten. Für etwaige Fehler haftet der Insolvenzverwalter ggf. Persönlich ohne Begrenzung auf die Insolvenzmasse. Dies wird beispielsweise für diskriminierende Kündigungen zu gelten haben.